Neuentdeckungen aus der Toskana

Brunello, Rosso di Montalcino & Co


Schon Goethe glaubte, in der Toskana das real existierende Arkadien entdeckt zu haben – und war da sicherlich nicht der Erste. Mit der Verbreitung des motorisierten Individualverkehrs im 20. Jahrhundert sind sie dann eingefallen wie die Hunnen: Erst kamen Künstler und Intellektuelle, dann strömten die 68er, kurz darauf die Studienräte und die politische Toskana-Fraktion, irgendwann auch Hinz und Kunz.

Toskanischer Kulturbotschafter Nummer 1 in Germania war, ist und bleibt wohl der Wein. Vor allem der Chianti, dessen traditionelle mit Stroh oder Bast umwickelte, bauchige Flasche mit dem hübschen Namen „fiasco“ einst zum Sinnbild italienischer Lebenskunst wurde – in Verbindung mit Tropfkerzen zum ästhetischen Must-have im gutbürgerlichen Interieur der 1970er-Jahre. Ihr Anblick allein genügte, um den inneren Sehnsuchts-Diaprojektor des Bundesbürgers anzuschmeißen.

Der Wein hatte sich just zu dieser Zeit dank einer strengen DOC-Verordnung zu einem qualitativen Höhenflug aufgeschwungen, mit dem Namen Chianti als geschützter Herkunftsbezeichnung. Der eigentliche Protagonist ist hier die Sangiovese-Traube, eine der wichtigsten Rebsorten in Italien, insbesondere in der Toskana. Dort bildet sie die Grundlage für weitere berühmte Weinklassiker wie den Brunello di Montalcino oder den Vino nobile di Montepulciano. Mit diesen Flaggschiffen segelte die Traube ab dem Ende der 1960er ganz klar auf Erfolgskurs.

Nur einer war damals mit dem vielbesungenen Chianti nicht glücklich. Und zwar ein gewisser Marchese Antinori, seines Zeichens toskanischer Adelssprössling und Wein-Großmogul. Er hatte die Weinwelt bereist – allem voran das Bordelais – und konnte den betont bodenständig-schlichten Tropfen seiner Heimat einfach nichts mehr abgewinnen. Zu schüchtern die Gerbstoffe für das große internationale Weinparkett. Zu niedrig der selig machende Alkohol, zu dünn die Farbe verglichen mit den tintenartigen Kraftprotzen, wie sie international gerade en vogue wurden. Der Marchese befand, das müsse anders werden. Er pfiff auf die strengen DOC-Vorgaben, mischte seinem Sangiovese die Bordeaux-Rebsorten Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc bei und steckte ihn in nigelnagelneue Eichenholzfässer. So erschuf der Dr. Frankenstein des italienischen Weinbaus eine ganz neue Kreatur: Den „Supertoskaner“. Eine oftmals fette, gerbstoffige Fruchtbombe, zu 100% blickdicht und mit einer Alkoholwucht ausgestattet, die auch dem unbedarftesten Gaumen unmissverständlich klar macht: Was diese Franzosen und die ganze neue Weinwelt kann, kann Italien schon lange! Die anglo-amerikanische Weinjournaille feierte die „Supertuscans“ wie die Wiederkunft Christi, erklärte Italien zum gelobten Land in Sachen Dampfwalzenweine und den Marchese zum obersten Apostel. Dem italienischen Weinexport hat das ganze Theater den ultimativen Marketingschub beschert – der „einfache“ Chianti ging jedoch parallel dazu recht sang- und klanglos den Bach runter.

Der extrem erfolgreiche Neue-Welt-Stil der Supertoskaner hingegen machte auch vor den übrigen Weinen der Toskana nicht halt. Egal ob einfacher Toscana Rosso oder Brunello di Montalcino – fast alle Sangiovese-Kinder wurden in die önologische Muckibude geschickt und für den internationalen Markt aufgepumpt. Das ging natürlich auf Kosten ihres regionalen Charakters und der Typizität der Rebsorte, wurde jedoch von den internationalen Weinkritikern goutiert. Allen voran von Weinpapst Robert „Leather Tongue“ Parker, dem gerbstoffaffinen Wetterfrosch der internationalen Weinwirtschaft.

Nichts gegen diesen internationalen Weinstil, der da propagiert wurde. Er hat viele Freunde und alleine schon deshalb seine Daseinsberechtigung. Wir im vinocentral finden es jedoch eigentlich viel spannender, wenn ein Wein seine Herkunft, seine Tradition und seinen regionaltypischen Charakter widerspiegelt. Denn genau das macht die Weinwelt so vielfältig und spannend. Deshalb waren wir schon länger auf der Suche nach Toskanern, die sich auf ihre Wurzeln besinnen – und wurden nun fündig: Zum einen sind wir bei unserer Suche auf die faszinierenden Weine des legendären Bio-Weinguts Riecine aus dem Kerngebiet des Chianti Classico gestoßen. Es wurde ziemlich genau zur Geburtsstunde der Supertoskaner von einem Engländer gegründet und hat sich heute die Produktion besonders authentischer und unverfälschter Regionalweine auf die Fahne geschrieben.

Unsere andere große Entdeckung ist die Tenuta di Sesta, eines der ganz großen Traditionshäuser der Region. Giuseppe Ciacci, Vater des heutigen Eigentümers, opponierte seinerzeit aufs Heftigste gegen die Verbreitung des internationalen Weinstils und ließ die Welt wissen, dass er nur dann Cabernet Sauvignon in seinen Weinbergen dulden würde, wenn der ehrenwerte Baron Rothschild begänne, für seine Bordeaux-Weine Sangiovese anzubauen. Klare Fronten. Heute versteht man sich dort darauf, die Tradition mit dem Zeitgeist zu versöhnen. Das heißt, bei den Basisweinen hantiert man gerne mal mit moderner Wuchtigkeit – je höher die Qualitätsstufe, desto filigraner, subtiler und faszinierender die Frucht.

Bei uns herrscht jedenfalls absolute Sangiovese-Begeisterung – und wir freuen uns darauf, die mit Ihnen zu teilen!

Ab sofort im vinocentral erhältlich:

Chianti Classico DOCG bio 2013 rot  
Riecine, Toskana, Italien
Rebsorte: Sangiovese

 Wenn ein Chianti die Bezeichnung Classico zu Recht führt, dann dieser. 100 % Sangiovese in jeder Beziehung. Ungeschminkt, direkt – und trotzdem seidig und kein bisschen ungehobelt, wie man es dieser Rebsorte in Reinform gerne nachsagt (und weswegen sie früher sogar mit milden Weißweinen verschnitten wurde). Dunkle Beeren und ein Hauch von Veilchen in der Nase – am Gaumen saftig, kirschfruchtig und würzig mit einem ordentlichen Rückgrat.

Sebastiano „Vin Santo“ Toscana IGT 2001  
Riecine, Toskana, Italien
Rebsorten: Trebbiano, Malvasia

Der traditionelle toskanische Dessertwein aus getrockneten weißen Trauben und langjähriger Fassreifung: Waldhonig, Dörrobst, saftige Rosinen, Frische, Säure, Dichte und eine auf dem Gaumen schwebende Schärfe. Das Baby bringt pro Liter knapp 200 g Zucker ins Spiel – und die gehen auf der Zunge weg wie saure Drops. 2001 – Odyssee im Fruchttraum. Psychedelisch, surreal und unendlich tief. Ziemlich irres Zeugs.

Camponovo Toscana Rosso IGT 2014 rot   
Tenuta di Sesta, Toskana, Italien
Rebsorten: 90 % Sangiovese, 10 % Colorino

Die 10 % Colorino verleihen diesem Sangiovese seine dunkle Färbung und eine etwas massivere Tanninstruktur. Mit 14 % Alkohol steht hier kein Leichtgewicht im Glas, dennoch bleibt der Wein geschmeidig und süffig. Dunkle Beeren und Schattenmorellen im Bukett und eine an würziges Fruchtgelee erinnernde Dichte und Tiefe. Perfekter Alltagswein mit wärmendem Charakter für die kühleren Tage – und eine schöne Alternative für Primitivo-Fans.

Rosso di Montalcino DOC 2013 rot  
Tenuta di Sesta, Toskana, Italien
Rebsorte: Sangiovese grosso

Klare, aber schön eingebundene Holznoten vom großen slawonischen Eichenfass prägen hier bereits die Nase. Ansonsten tummeln sich Pflaumen, Brombeeren und ein Hauch von Blüten, Pfeffer und Lakritz im Aromaspektrum dieses vielschichtigen Weines. Am Gaumen kernig und von eher schlankem, aber kraftvollem Charakter mit samtigen Tanninen. 14 % Alkohol machen hier ganz ordentlich Dampf im Kessel – aber keinen Überdruck.

Brunello di Montalcino DOCG 2010 rot   
Tenuta di Sesta, Toskana, Italien
Rebsorte: Sangiovese grosso

Sauerkirsche, dunkle Beeren, etwas Tabak, Karamellbonbon und ein ganz zarter Hauch von Bohnerwachs auf frisch verlegtem Eichenparkett – bar jeder Penetranz. Ein Bukett mit Drive, Charakter und ungewöhnlicher Leichtigkeit. Im Trunk setzt sich dieser eigenartige Eindruck schlüssig fort: präzise, fast leichtfüßig, minzig-kühl und gleichzeitig vollreife, warme Früchte am Gaumen. Erst im Abgang sagen die 14 % Alkohol zum Abschied leise Servus. Ein Drahtseilakt zwischen Kraft und Grazie – ohne Netz und doppelten Boden. Großer Sangiovese. Brunello vom Feinsten, von dessen Jahrgang nur noch wenig erhältlich ist.

 

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