Neun Stunden Ziereisen

„Make Gutedel great again!“ – so das Credo von Hanspeter Ziereisen, seit er in alten Urkunden vom Lagerpotenzial der weißen Rebsorte las. Dieses Ziel haben er und seine Frau Edeltraud, genannt Edel(!), längst erreicht. Wenn man heute von Baden spricht, fallen in der Regel drei Begriffe: Landwein, Ziereisen und Gutedel. Das Weingut im Dreiländereck steht bei der internationalen Weinszene hoch im Kurs. Renommierte Weinkritiker und Händler gehen ein und aus, angehende Winzer reißen sich um einen Praktikumsplatz. 
Dass das sympathische Ehepaar dennoch auf dem Teppich geblieben ist, konnten wir im Corona-Sommer 2020 erleben, als aus unserem als dreistündig geplantem Besuch ein ganzer Tag wurde.

Alles beginnt mit einem Missverständnis. „Ich dachte, unser Termin war gestern“, ruft Edel, als wir Ende Juli um zehn Uhr morgens im Weingut Ziereisen in Efringen-Kirchen, kurz vor der Schweizer Grenze, einlaufen. Es ist Donnerstag, der kleine Hofladen hat gerade aufgemacht. Hanspeter Ziereisen ist auf dem Weg ins Flaschenlager, um den Gutedel Viviser abzufüllen. „Egal, macht nichts, bleibt einfach hier, wir sind ja da“, sagt sie gut gelaunt und steigt sofort mit uns in das alte Kellergewölbe des 1734 erbauten Hofes hinab. „Früher waren alle unsere Fässer über das Dorf verteilt, jetzt liegt der größte Teil in unserem neuen Fasslager vor dem Dorf. Aber zu einem Weingut gehört einfach ein Keller, deshalb steht ein kleiner Teil immer noch hier“, erzählt sie und steigt die Treppen schon wieder nach oben. Während wir an einem der urigen Tische im Schatten Platz nehmen, treffen die ersten Kunden ein. Einige sind Urlauber, andere Einheimische. Die Ferienwohnung wird geputzt, die Schwägerin bringt Blumen, ein Handwerker kommt vorbei, um eine alte Holztür zu streichen. 

Die Schwiegereltern waren auf Vieh und Gemüseanbau spezialisiert. Wein hatten sie nur eines kleines Bisschen“, erzählt Edel. „Als wir den Hof übernommen haben, war klar, dass wir das nicht alles weiter machen wollen, sonst hast du ja quasi das ganze Jahr über Saison. Also haben wir uns auf Wein und Spargel konzentriert. Das Gemüse, das wir hier jetzt noch anbieten, kommt von den Höfen aus der Nachbarschaft.“  

Viel los ist trotzdem, Edel läuft ohne Unterlass hin und her, verkauft Wein und Gemüse, räumt Probiergläser weg, geht ans Telefon, heizt den Brotofen an, kocht Mittagessen. Jeder, der kommt oder anruft, wird von ihr freundlich begrüßt. Zwischen drin tritt sie immer wieder an unseren Tisch, schenkt einen der erstklassigen Gutedel ein und erzählt: „Ursprünglich gehörte zum Hof nur ein halbes Hektar Rebanlagen. Die Trauben wurden an die Genossenschaft abgegeben, die Hanspeters Großvater mit gegründet hat. Lange Zeit war das Markgräfler Land als Weinbaugebiet wenig bekannt. Immer wenn wir gefragt wurden, ob wir Weinlagen übernehmen wollen, haben wir zugegriffen. Jetzt ist fast alles verteilt.“ Mit ihren 20 Hektar bewirtschaften die Ziereisens heute den größten Teil des Efringer Ölbergs, der sich nur zwei Minuten vom Haus entfernt, bogenförmig um den alten Ortskern herumzieht.

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Verrückt nach Gutedel

Auch Hanspeter Ziereisen sitzt selten still. Ab vier Uhr morgens steht er im Weinberg. Wenn es zu heiß wird, kommt er zurück ins Dorf und pendelt zwischen Hof, neuem Keller, Flaschenlager, Holz- und Metallwerkstatt hin und her. Damit’s schneller geht, nutzt er das Fahrrad. Trotzdem ist zwischendrin immer Zeit für ein Gespräch. Der renommierte Winzer erzählt uns von seiner Gutedelsammlung, die mit 40 verschiedenen Klonen die weltweit größte ist. Darunter sind Klone mit uralter Genetik unter anderem aus Siebenbürgen, Ungarn, von Loire und Rhône sowie die historische Rebsorte Muskat-Gutedel, die bis 2008 als ausgestorben galt (>Historische Rebsorten). Wir freuen uns, ihm berichten zu können, dass laut einem Brief des Darmstädter Landgrafen Georg I. an seinen Bruder Wilhelm IV. von Hessen-Kassel aus dem Jahr 1591 sogar in Darmstadt ursprünglich mal Gutedel anpflanzen wurde. (Hessisches Staatsarchiv Marburg, Stama Bestand 4c Nr. 378)

Landwein – Mit Anders-Sein erfolgreich

Immer wieder dreht sich die Unterhaltung um die Bezeichnung „Landwein“. Seit 2006 nutzen Hanspeter und Edeltraud die Klassifikation, weil ihre Weine zuvor häufig mit den Anforderungen der AP-Prüfungen für „Qualitätswein“ kollidiert sind: zu individuell, zu eigenständig war die Begründung. Dem Erfolg tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil: Mit ihren seither als Landwein deklarierten Gutedel-Kreationen und den von ihnen maßgeblich mit ins Leben gerufenen Landwein-Tagen „Efringer Wein-Musterung“ verhalfen sie dem badischen Wein zu neuem Renommee. 

Eine Erfolgsgeschichte, die offenbar nicht jedem gefällt. Gerade gibt es in Baden Überlegungen, unfiltrierte Weine nicht mehr als „Landwein“ zuzulassen, und damit den Ziereisens und vielen anderen Winzern mit einem Qualitätsverständnis abseits konventioneller Regeln auch diese Güteklasse zu verweigern. Hanspeter lässt sich davon nicht einschüchtern. Muss er auch nicht. Den Durchbruch mit seinen Weinen hat er längst geschafft, ganz gleich was auf der Flasche steht. Davon zeugt unter anderem der Artikel des Weinkritikers Stephan Reinhardt (Robert Parker Wine Advocate), der wenige Tage nach unserem Besuch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erscheint. Darin heißt es: „Aufs Schild der feinsten Weine der Welt aber hebt die rund 5.000 Jahre alte Sorte [Gutedel] vor allem einer: Hanspeter Ziereisen, […]. Als Rotweinwinzer brachte es Ziereisen letztes Jahr mit seinem 2016er Jaspis Spätburgunder Alte Reben sogar zum ‚Liebling des Jahres der F.A.S.“ 

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Qualität entsteht im Efringer Ölberg und im Tongewölbe vor dem Isteiner Klotzen

Die Zeit vergeht wie im Flug. Schon ist es Mittag und Edel lädt uns ein, zusammen mit der Familie und dem Team am langen Holztisch im Hof zu essen. Für den Nachmittag hat sich der Master of Wine Philipp Schwander angesagt. Obwohl die Rebsorte Gutedel ursprünglich vom Genfer See stammt und in der Schweiz unter dem Namen Chasselas weit verbreitet ist, möchte er einen von Hanspeters Gutedel-Weinen ins Sortiment seiner Zürcher Weinhandlung aufnehmen. Ein deutscher Chasselas für die Eidgenossen? – Wenn das nicht ein weiterer Ritterschlag für die Ziereisen Weine ist! 

Da wir Schwander gut kennen, beschließen wir, die Besichtigung von Weinberg und neuem Keller gemeinsam zu unternehmen. Mit zwei Autos geht es hoch auf den Efringer Ölberg. Obwohl Unkrautvernichter für die Ziereisens tabu sind, sieht das Gras unter den Rebstöcken in den Steillagen wie abgespritzt aus, so trocken ist es. „Hohe Sommertemperaturen sind hier normal, aber die Winter sind in den letzten Jahren viel zu trocken“, erzählt Hanspeter. „Für uns ist das bisher kein Problem. Da die Reihen eng und dicht gepflanzt sind, wurzeln die Rebstöcke tief, die Dürre kann ihnen nichts anhaben.“ 
Er ist in seinem Element. Als Holz- und Metallbauer - vor allem aber als Tüftler - hat er eine Maschine konstruiert, die mit hohem Luftdruck gegen die Beeren schießt, sodass die ungesunden abfallen und die Blätter löchrig werden. „Das sorgt für eine gute Belüftung und die Entwicklung wird um eine Woche verzögert, was der Komplexität meiner Weine zugutekommt. Probleme mit Botrytis [Edelfäule] haben wir seither nicht mehr.

Der Rest ist Handarbeit – und viel Geduld. Die müssen auch die Konsumenten haben: Bei den meisten Ziereisen-Weinen dauert es mindestens zwei Jahre, bis sie abgefüllt werden. Um die Weine so lange im Fass reifen zu lassen, braucht es Platz. Den haben sich die Ziereisens vor vier Jahren geschaffen: Am Rande des Dorfes, vor dem Isteiner Klotzen, einem markanten Bergrücken aus Jurakalk in den Rheinauen, liegt ganz unscheinbar und versteckt unter blühenden Gräsern der neue Keller. Seinen Schatz offenbart er erst beim Betreten: Ein riesiges Tongewölbe beherberg unzählige alte 225 bis 4.000 Liter-Fässer.
Bei einem konstant hohen Feuchtigkeitsgehalt und nahezu gleichbleibender Temperatur, die ganz ohne Kühlung auch im Sommer nicht mehr als 17 °C beträgt, lagern hier 270.000 bis 280.000 Liter feinster Gutedel, Chardonnay, Spätburgunder und Syrah. An der Decke hängt ein Fassdaubenphone, das Hanspeter uns augenzwinkernd vorführt. Es dient nicht der Erbaulichkeit der Weine, sondern der Winzerfamilie.

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1 bis 4 Der neue Keller vor dem Isteiner Klotz. 5 Eingespieltes Team: Hanspeter und Edeltraud Ziereisen 6 Zufälle gibts: Philipp Schwander und Michael Bode-Böckenhauer

Zurück im Hof, wo noch immer reges Treiben herrscht, machen wir uns an die Rotwein-Degustation. Hanspeter und Edels zweite Leidenschaft ist der Spätburgunder, der ihrer Auffassung nach hierzulande jedoch meist viel zu warm getrunken wird. In Frankreich sei das anders, berichten sie. Sie müssen es wissen, schließlich liefert das Weingut unter anderem jährlich 1.600 Flaschen an ein Restaurant in Versailles. „Nach einem langen, heißen Tag wie diesem“, schwärmt Edel, „trink ich am liebsten einen gekühlten Spätburgunder. Das erfrischt mich mehr als jeder Weißwein.“ – Hoffen wir, dass sie bald Zeit dafür findet, denn als wir uns um 19 Uhr verabschieden, ist sie immer noch am Rennen.

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1 Jaspis - der Namensgeber für die höchste Qualitätslinie der Ziereisen Weine. Der Edelstein ist in den Efringer Weinbergen oft zu finden. 2 Roter Gutedel aus der Amphore, die im Weinberg vergraben ist. 3 Und schnell noch mal weg: Hanspeter und sein Fahrrad.

Fotos: Janne Böckenhauer

 

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