Auf den Kulturerbe-Status folgt der Kultstatus
Bei der traditionellen georgischen Methode werden die gepressten Trauben samt Stilen, Kernen und Beerenhäuten in die Quevris gefüllt. Dort gärt und reift der Wein dann komplett „auf der Schale“. Das verleiht den Rotweinen eine besonders dunkle Farbe. Weißweine erhalten mehr Tiefe und eine expressive Aromatik. Durch den langen Schalenkontakt haben sie eine ausgeprägte Gerbstoffstruktur und eine orange-goldene Farbe, was ihnen den Namen Amber [Bernstein] oder Orange Wine einbrachte. In der internationalen Weinwelt besitzt der georgische Amphorenwein heute Kultstatus – und seine Ausbaumethode ist zur Inspirationsquelle für zahlreiche junge, europäische Winzer*innen geworden. Aber auch die aktuelle georgische Weinszene ist im Aufbruch. Nach der Zeit der Sowjetunion, in der auf Massenproduktion nach europäischem Ausbaustil gesetzt wurde, haben gut ausgebildete junge Weinmacher*innen die alte Methode wiederentdeckt und individuell weiterentwickelt. Von der Vielzahl an Weinstilen konnte wir uns auf einer Georgienreise auf Einladung der Nationalen Weinagentur Georgiens selbst überzeugen.
Kleines Land – drei Klimazonen – hunderte Rebsorten
Das heutige Georgien ist von der Fläche her nur so groß wie Bayern, dennoch gibt es drei verschiedene Klimazonen: subtropisch-feucht, subkontinental-trocken und alpin. Der Weinbau erstreckt sich nahezu über das gesamte Land. Die vier wichtigsten Anbaugebiete sind Ratscha-Leschchumi im Nordwesten, Imeretien im westlichen Zentral-Georgien, Kartlien, rund um die Hauptstadt Tiflis, sowie Kachetien im Osten. Letztere ist die größte und bekannteste Weinregion des Landes. Ihre Rebflächen liegen vor der imposanten Kulisse des Großen Kaukasus. Die drei- bis viertausend Meter hohe Gebirgskette schützt die Reben vor kalten Nordwinden und sorgt für ein mildes, ausgeglichenes Klima. Die zimtfarbenen Böden rund um den Fluss Alazani bestehen aus sandigem, kalkhaltigem Lehm und sind reich an Eisen. Das trockene Klima lässt organisches Material im Oberboden schnell verwittern. Deshalb müssen die Reben tief wurzeln, was der Qualität der Weine zugutekommt.
Der Rebsortenschatz ist riesig: Von den 525 autochthone Rebsorten werden aktuell 45 in größerem Stil angebaut. Doch es sollen noch mehr werden: Weingüter, die sich den historischen Rebsorten zuwenden, werden besonders gefördert. Außerhalb Georgiens klingen alle Sortennamen exotisch. Die bekanntesten sind die weißen Rkatsiteli [sprich: Kazitelli] und Kakhuri Mtsvane [sprich: Mizwane] sowie die rote Saperavi.
Alles Wein
Wein ist in Georgien nicht nur ein Getränk, sondern Teil der georgischen Identität. Als solcher prägt er Landschaft und Wirtschaft, aber auch Religion und Kultur. Das Hauptsymbol der georgischen Orthodoxie ist das Weinrebenkreuz, das die Heilige Nino der Legende nach mit ins Land gebracht haben soll. Bei der traditionellen Festtafel, der Supra, spielt Wein ebenfalls eine tragende Rolle. Und das nicht allein, weil er gut zu den Speisen der georgischen Küche passt, die serviert werden, bis der Tisch sich biegt. Jedes Weinglas, das der Tamada [Tischführer] erhebt, wird von einem Trinkspruch begleitet. Je poetischer, desto besser. Der Ablauf folgt einem festen Rhythmus. Nicht selten treiben die Trinksprüche den Zuhörenden Tränen der Rührung in die Augen. Es wird auf Eltern, Kinder, Verstorbene und auf Georgien angestoßen. – Die Supra wird noch immer praktiziert. Vielfach reicht aber heute zum Anstoßen ein einziges Wort: Gaumardshos – Prost!
Titelbild & Karte: LEPL National Wine Agency of Georgia, Film: UNESCO, Bild Berge & Brotbacken: vinocentral
Bilder: 2 x Lese, Weingärten und im Boden eingelassene Quevri: LEPL National Wine Agency of Georgia
Georgien – Wiege des Weins
Georgien gilt schon lange als Wiege des Weins. Doch während man vor wenigen Jahren noch davon ausging, dass die Weinbereitung dort eine 7.000-jährige Tradition habe, weiß man heute gesichert, dass es sogar rund 8.000 Jahre her ist, seit die ersten Trauben in riesigen, im Boden eingelassenen Tonamphoren zu Wein vergoren wurden. Grund für diese Korrektur ist der Fund von Traubenkernen der autochthonen Rebsorte Rkatsiteli [sprich: Kazitelli] in alten Tonschalen. Eine archäologische Entdeckung mit weitreichenden Folgen: 2013 wurde die Vinifikation in den Qvevri genannten Amphoren von der UNESCO zum „Immateriellen Kulturerbe“ erklärt.