Ganz nah am Boden: Zu Besuch auf dem Weingut Peter Jakob Kühn, Winzer des Jahres 2016 (Gault&Millau)

Im November 2015 waren wir im Vorfeld der Riesling Gala im Kloster Eberbach zu Gast auf dem Weingut Peter Jakob Kühn, just einen Tag nachdem die Familie erfahren hatte, dass der renommierte Weinführer Gault&Millau den Betrieb zum „Winzer des Jahres 2016“ küren wird. Die überwältigende Freude und Erleichterung war an diesem Abend deutlich spürbar, hatte doch die Umstellung auf biodynamischen Weinbau, 2004, bei einigen langjährigen Anhängern der Kühnschen Weine zunächst Skepsis hervorgerufen. Peter Jakob Kühn und sein Sohn Peter Bernhard indes hielten unbeirrt an ihrem Weg fest. Die aktuelle Auszeichnung kommt einer Bestätigung ihrer Philosophie gleich und ist der Höhepunkt ihres gemeinsamen Schaffens.

Es war ein sehr familiärer, einprägsamer Abend mit interessanten Gästen, spannenden Gesprächen und einer beeindruckenden Vertikalverkostung des Kühnschen Riesling-Unikats Schlehdorn. Viel wurde dabei über biodynamischen Anbau, autochthone Rebsorten und die Veränderungen durch den Klimawandel gesprochen. Zahlreiche persönliche Erfahrungen und Anekdoten flossen in das Gespräch ein. Ein Satz von Junior Peter Bernhard Kühn blieb uns nachhaltig in Erinnerung: „Was gibt es Typischeres als einen Wein, der nach biodynamischen Maßstäben auf einem gesunden Boden, in einem ganz spezifischen Klima gereift ist und diese Faktoren abbildet, die Rebsorte ist da zweitrangig.“ Für uns war klar, wir müssen wiederkommen und uns die Arbeit im Weinberg, ganz nah an Boden und Pflanzen anschauen. Das haben wir in Frühling 2016 getan.

Als wir an einem Donnerstag-Vormittag im April wie verabredet auf dem Weingut Peter Jacob Kühn im Rheingau ankommen, empfängt uns zunächst Tochter Kathrin, die für Werbung und Marketing zuständig ist. Im Weinkeller ist eine Maschine defekt, sodass die wenige Tage zuvor abgefüllten Flaschen mit den Rieslingen Jacobus, Quarzit und Rheinschiefer nicht verkapselt werden können. Peter Jakob Kühn ist voll eingespannt: Ein Techniker muss gerufen werden, damit es mit Verpackung und Versand weiter gehen kann. Die Kühnschen Weine sind wieder so begehrt wie einst. Seit der Auszeichnung durch den Gault&Millau und wenig später durch das Weinmagazin Falstaff ist die Nachfrage sogar noch weiter gestiegen.

Gut, dass in dem 230 Jahre alten Familienunternehmen auch heute noch alle mitarbeiten. Ehefrau Angela springt spontan ein und übernimmt die Aufgabe, uns durch die Weinlagen zu führen.

Mit dem Auto fahren wir vom Weingut in Oestrich-Winkel hoch hinauf an den Waldrand. „Der Taunus mit seinen 660 Metern Höhe ist der Kältepuffer für die Weinlagen hier im Rheingau“, erklärt Angela. „Von unserer Lage St. Nikolaus, direkt unten am Rheinufer, bis zu unseren höchsten Rebstöcken hier oben am Hendelberg sind es nur sieben Kilometer Luftlinie, aber der Anstieg von 70 m auf 250 bis 300 m über dem Meeresspiegel verursacht deutliche Unterschiede im Mikroklima. Bis zu zehn Tage verschieben sich Austrieb, Wachstum und Reife der Trauben übers Jahr, dadurch können wir die Arbeit in den Weinbergen gut strukturieren.“ Und wirklich, während hoch oben am Hendelberg der Austrieb noch von einem pelzigen Überzug bedeckt ist, sind an den Reben unten am Rhein schon die ersten Blätter zu erkennen.

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links: Austrieb im „Wollstadium“ oben am Hendelberg. rechts: Austrieb im „Fächerstadium“ zur selben Zeit unten am Rhein.

Doch erst einmal geht es zu den zwei Kompostplätzen des Weinguts. Kompost ist ein unverzichtbarer Baustein in der Biodynamie und Voraussetzung für die demeter-Zertifizierung. Er ist so wichtig, dass die Kühns nicht auf industrielle Ware zurückgreifen, sondern ihren eigenen Kompost herstellen. Er besteht zu 50 Prozent aus Kuhmist von einem nahegelegenen Bauernhof, die andere Hälfte setzt sich aus getrocknetem Gras, Trester, geschredderten Ästen, Pferde- und Ziegenmist sowie Walderde zusammen.

Zwei Jahre dauert die Herstellung, dann wird der Kompost ausgebracht, 10 Tonnen pro Hektar. Wir blicken auf mehrere lange Komposthügel, die sich den Hang hinunter erstrecken. „Die leichte Neigung ist wichtig“, erklärt die Winzerfrau, „damit sich am Boden kein Wasser sammelt. Überhaupt muss der Kompost gut durchlüftet sein, damit das Material fermentiert und nicht fault“. Das kann man deutlich riechen – Angela Kühn reicht uns eine Handvoll Kompost. Der Duft von Waldboden steigt uns in die Nase. Sie begutachtet die bröselige Masse in ihren Händen: „Es sind kaum noch Würmer darin enthalten. Das ist ein Zeichen dafür, dass er bald fertig ist. Denn wenn alles fermentiert ist, ziehen sich die Würmer zurück.“ Wir staunen: „Das ist ja eine richtige Wissenschaft.“ Angela lacht. „Früher gab es ausgebildete Kompostmeister, weil der Kompost so wichtig für die Landwirtschaft war. Wir mussten das alles erst wieder mühsam lernen.“ 

Trotz des großen Aufwands und der hohen Kosten sind die Kühns von der Arbeit mit dem organischen Kompost fest überzeugt. „Wir geben dem Boden damit das zurück, was wir ihm mit den Reben entziehen“, sagt Angela. „Aber es ist nur ein Angebot, die Wurzeln müssen die Botschaft verstehen und die Nährstoffe selbst aufnehmen. Sie werden quasi zur Wurzelarbeit angeregt. Nur so funktioniert der mineralische Aufbau in den Trauben. Mit Kunstdünger schafft man das nicht.“ Wir müssen an die herrlich mineralischen Rieslinge der Kühns denken und nicken andächtig.

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Oben von links nach rechts: Einer der zwei Kompostplätze der Kühns; Geruchsprobe: Waldduft statt Fäulnis.
Unten von links nach rechts: Hier sind Präparate vergraben; Angela Kühn erklärt dem vinocentral-Team das Prinzip der Kompostpräparate.

Weiter gehts zu einer zwei Hektar großen Wiese. Hier werden verschiedene Kräuterpräparate gewonnen, die später den Kompost stimulieren sollen. Dafür werden Brennnessel, Baldrian, Kamille und andere Kräuter gesucht, getrocknet und anschließend in Därmen oder in Birkenholzkisten einen Meter tief in der Erde vergraben. Auch Kuhmist in Hörnern ist dabei. Nach der Fermentation werden die Präparate wieder ausgegraben und im Kompost ausgebracht. Wie in der Homöopathie genügen kleinste Mengen, um den Prozess zu unterstützen.

Die Rebstöcke selbst erhalten Tee. 600 Liter werden auf dem Weingut wöchentlich gekocht. Auch dafür sammelt die Familie die Kräuter selbst. Anbauen kann man die Wildkräuter ohnehin nicht, sie suchen sich selbst einen Platz, der ihren Bedürfnissen entspricht.
„Wir begreifen unsere Rebstöcke als Lebewesen und tun alles, um sie auf ihrem Lebensweg zu unterstützen.“ Im vergangenen Sommer, als es sehr heiß war, wurden Unmengen Brennnesseltee gegen Hitzestress versprüht, bei starkem Frost hilft Baldrian. „Wir leben so nah mit Weinberg und Reben, dass wir fühlen, was gerade benötigt wird“, erläutert Angela.

Oben am Hallgartener Hendelberg können wir endlich auch einen Blick auf die Rebstöcke werfen, die hier teilweise 50 Jahre alt sind. Sofort fällt uns auf, dass die Reben erstaunlich nah am Boden gezogen werden. Die Stämme sind maximal 30 cm hoch. „Das ist natürlich viel anstrengender zu lesen“, erklärt Angela gestenreich, „aber in Bodennähe ist das Klima deutlich besser.“ Die aufgeschüttete Erde dient dabei noch zusätzlich als Wärmeschutz. Abermals lässt Angela Kühn Erde durch ihre Hände gleiten, als sie uns den porösen, alten Schiefer im Boden zeigt.

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Oben: Nah am Boden ist das Klima am besten; Poröser Verwitterungsschiefer; Kapelle am Hallgartener Hendelberg.
Unten: Der Kraftplatz der Kühns mit einem Kreuz, das ein befreundeter Bildhauer für sie geschmiedet hat;
Blick vom Kraftplatz auf die Kirche von Hallgarten; Angela Kühn demonstriert die Funktion einer historischen „Ruhe“,
einem Rastplatz, an dem die Weinberg-Arbeiter einst pausierten, ohne die schwer beladenen Körbe von den Schultern nehmen zu müssen.

Es ist bereits Mittag, doch wir müssen unbedingt noch hinunter an den Rhein, der hier einen Kilometer breit ist und einen prägenden Einfluss auf die VDP Große Lage „Sankt Nikolaus“ unmittelbar an seinem Ufer ausübt. Der Fluss fungiert um diese Jahreszeit als Wärmespeicher und Sonnenreflektor. Im September indes legt sich der aufsteigende Nebel wie ein Deckbett über die Trauben. Die Folge ist ein deutlich früherer Austrieb im Frühling sowie eine spätere Lese im Herbst – und damit eine besonders lange Wachstums- und Reifezeit der Trauben. „Dort drüben wächst unser Riesling-Unikat „Schlehdorn“, von dem ihr im November sechs verschiedene Jahrgänge verkosten konntet.“ Angela Kühn zeigt auf einige 80 Jahre alte Rebstöcke, die ganz am Ende der Lage, entlang eines Villengrundstücks wachsen. Ein eindrückliches Beispiel dafür, dass nicht unbedingt Hanglagen die besten Weine erbringen müssen, sondern auch eine kleine Parzelle unten am Fluss oder in einer Senke das hochwertigste Traubenmaterial liefern kann.

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Oben: Der Heilige Sankt Nikolaus, Schutzpatron der Schiffsleute, blickt auf den Rhein und die gleichnamige Große VDP-Lage.
Unten: Gruppenbild mit Winzer Peter Jakob Kühn; Gemeinsames Mittagessen nach spannender Weinberg-Führung.

Wir beschließen unseren Besuch auf der sonnigen Terrasse des Weinguts mit Spundekäs’, Kartoffelsalat und Hackbällchen. Dazu dürfen wir die Kühnschen Rieslinge, einen nach dem anderen, verkosten.

Wie jeden Mittag wurde das Essen für die ganze Familie vom Onkel zubereitet. Und vermutlich auch wie jeden Mittag herrscht ein Kommen und Gehen: Kurz sitzt Peter Jakob mit am Tisch, dann ist er wieder im Keller verschwunden, denn der Techniker ist endlich eingetroffen. Kathrin leistet uns Gesellschaft, während Angela mit der Spedition verhandelt, die einen Tag früher als geplant gekommen ist. Dann muss auch die Tochter gehen. „So ist das in einem kleinen Familienbetrieb“, bemerkt Angela, als sie schließlich auch zum wohlverdienten Mittagessen dazustößt, „irgendwas ist immer. Aber das kennt ihr ja sicher auch!

Ja, das kennen wir, und deshalb wissen wir Angela Kühns ausgiebige Weinberg-Tour mit ihren detailreichen und bodennahen Ausführungen auch besonders zu schätzen. Eine mehr in der Familie, die die Auszeichnung „Winzer[in] des Jahres“ ausdrücklich verdient hat!

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Wir lernen, dass Löwenzahn nur dann getrocknet werden kann,
wenn der Kern in der Mitte der Blüte noch nicht vollends aufgeblüht ist, andernfalls wird sie beim Trocknungsprozess zur Pusteblume.

Noch mehr über Bio-Weine im vinocentral lesen Sie hier 

Text: Janne Böckenhauer, Fotos: Janne Böckenhauer und Michael Bode-Böckenhauer